Ein Mensch, drei Leben
Warum dieses Projekt ein Schatz für die politische Jugendbildung ist
Das Projekt „Kaleidoskop: Ein Mensch, drei Leben“ nimmt sich einer Aufgabe an, die in der politischen Jugendbildung zentral ist: gesellschaftliche Stimmungen jenseits von Statistiken sichtbar zu machen. Es lässt Menschen zu Wort kommen, die drei politische Systeme erlebt haben – Nationalsozialismus, DDR und das vereinigte Deutschland. Der Ansatz verbindet Biografieforschung, politische Bildung und dokumentarische Arbeit. Herausgekommen ist ein vielfältiges Ensemble aus Dokumentarfilm, Ausstellung und einer App, die rund 100 Kurzfilme zugänglich macht. Für Multiplikator*innen bietet "Kaleidoskop" damit einen selten breiten und niedrigschwelligen Zugang zu historisch-politischen Erfahrungsräumen.
Biografische Tiefenschärfe statt abstrakter Systeme
Zwischen Frühjahr 2022 und Sommer 2023 wurden über 100 Senior*innen aus Sachsen-Anhalt interviewt. Sie sprechen über ihr Leben in drei Staatsformen, über Arbeit, Familie, Kontrolle, Freiheit, Wandel – und über ihre politische Zufriedenheit heute. Diese Stimmen verdichten, was Zahlen nie leisten können: Sie zeigen, wie politische Systeme in Körpern, Beziehungen und Biografien wirken. Viele Interviewte berichten von erlebter Solidarität, von Brüchen und Verlusten, aber auch von neuen Handlungsspielräumen nach 1989.
Für die politische Jugend- und Erwachsenenbildung öffnet dies einen Zugang, der Geschichte spürbar macht. Vergangenheit wird nicht gelehrt, sondern erlebt – ein Kernanliegen zeitgemäßer Erinnerungskultur.
Der Dokumentarfilm: Verdichtung eines kollektiven Gedächtnisses
Der Film „Unkraut ist das Einzige, was noch blüht bei uns.“ bündelt ausgewählte Biografien zu einem eindrucksvollen Porträt eines Bundeslandes in Bewegung. Er zeigt politische Umbrüche aus Augenhöhe und macht deutlich, wie Menschen strukturelle Veränderungen deuten. Für die politische Bildung ist der Film wertvoll, weil er Ambivalenzen nicht glättet. Er zeigt Hoffnungen und Enttäuschungen, Kontinuitäten und Brüche – und regt damit Diskussionen über Demokratie, Verantwortung und gesellschaftlichen Zusammenhalt an.
Die Ausstellung: Geschichte wird begehbar
Die Wanderausstellung erweitert den Film um weitere sinnliche und dialogische Elemente:
- Aufsteller mit Interviewauszügen,
- Materialien zur Interviewführung,
- Erinnerungsstücke der Interviewten,
- ein Booklet mit zwölf Porträts,
- sowie begleitende Dokumente wie das Programmheft der Präsentationsveranstaltung.
Diese Kombination ermöglicht einen mehrdimensionalen Blick auf Biografien. Gerade für Fachkräfte in der politischen Bildung eignet sich die Ausstellung, um Räume für Austausch und Reflexion zu öffnen – etwa im Rahmen von Projekttagen, Gedenkstättenbesuchen oder generationsübergreifenden Formaten.
Wer Interesse hat, die Ausstellung zu zeigen, kann sich direkt an:
Die App: Ein digitales Archiv politischer Erfahrung
Die wohl innovativste Komponente ist die App „Sachsen-Anhalt Kaleidoskop“. Sie stellt knapp 100 Kurzfilme bereit – thematisch verschlagwortet und damit gezielt einsetzbar für Bildungszwecke.
Die App ist kostenlos im Google Play Store und im App Store erhältlich.
Für die politische Jugendbildung ist das ein großer Gewinn. Die App erlaubt:
- passgenaue Auswahl nach Themen wie Solidarität, Arbeit, Repression, Aufbruch,
- kurze Impulsclips, die Diskussionen öffnen,
- niedrigschwelligen Zugang über Smartphones,
- flexible Nutzung in Schule, außerschulischer Bildung und Projektarbeit.
Diese Form der digitalen Erinnerungskultur ermöglicht Jugendlichen einen individuellen Zugang zu Zeitgeschichte – ohne Überforderung, aber mit starken emotionalen und kognitiven Anknüpfungspunkten.
Mehrstimmigkeit als demokratisches Prinzip
Das Kaleidoskop-Projekt folgt einem Leitgedanken, der sich auch in der politischen Jugendbildung wiederfindet: Demokratie entsteht aus Vielfalt. Die Interviews liefern kein einheitliches Bild, sondern ein Mosaik aus Stimmen, Erfahrungen und Bewertungen. Genau diese Mehrstimmigkeit macht das Projekt so wertvoll. Es zeigt, wie unterschiedlich Menschen denselben historischen Moment erleben – und wie wichtig es ist, diese Unterschiede sichtbar zu machen.
Für Multiplikator*innen bietet das Kaleidoskop damit ein reichhaltiges Materialset, um über Geschichtsbewusstsein, politische Teilhabe und die Bedeutung demokratischer Entscheidungsräume ins Gespräch zu kommen.
Ein Werkzeug für Gegenwartsfragen
Ob Film, Ausstellung oder App – alle Bestandteile des Projekts unterstützen Lernprozesse, die Jugendliche heute dringend brauchen:
- historische Orientierung,
- Verständnis für gesellschaftliche Transformationsprozesse,
- Sensibilität für politische Ohnmacht und Eigenwirksamkeit,
- reflektierte Auseinandersetzung mit Autoritarismus und Demokratie.
Das Kaleidoskop macht sichtbar, dass politische Systeme nicht nur Strukturen sind, sondern Lebensbedingungen. Diese Erkenntnis stärkt die Fähigkeit junger Menschen, heutige gesellschaftliche Herausforderungen einzuordnen und eigene Positionen zu entwickeln.