Pressefreiheit: Global, digital & dekolonial?
Was bedeutet Presse- und Meinungsfreiheit überhaupt in einer stets vernetzten Informationsgesellschaft? Wie unterschiedlich sind die globalen Bedingungen für Journalist*innen? Wie gehen wir in Zeiten digitaler Propaganda und Kriegsführung mit der Freiheit von Medien um? Und wie mit der Meinungsfreiheit von Leugner*innen wissenschaftlicher Erkenntnis über Klimawandel und Pandemien, die zusammen mit Neonazis mobilisieren? Aber vor allem, wie können wir diese Spannungsfelder in der politischen Bildung besprechen?
(Digitale) Pressefreiheit - ein Thema für die politische Bildung?
Warten auf die nächste Ausgabe der Tageszeitung oder Sendung der Tagesschau ist Schnee von gestern. Wir können unsere Nachrichten online ständig selbst suchen oder bekommen sie gleich auf unser Smartphone gepushed. Dadurch haben wir unendlich viel Auswahl an möglichen Quellen für unsere Informationen, von Wikipedia bis zum Blog politische Jugendbildung. Bei Nachrichten können wir uns aussuchen, welche Meinung und Ausrichtung des Medienhauses uns besser gefällt, ob Zeit online oder die Berliner Zeitung von Springer. Was einerseits Pluralität bedeutet, erhöht nicht nur den Druck auf Journalist*innen einer Ökonomie der Aufmerksamkeit zu folgen [1], sondern auch die Notwendigkeit von hoher Medienkompetenz bei den Leser*innen. Die Frage, wo genau den der Unterschied zwischen „gutem“ Journalismus, der Meinung auf irgendeinem Blog und dem letzten Facebook Post von Onkel Herbert liegt, ist schließlich nicht so einfach zu beantworten?
Für die politische Bildung bedeutet das zu besprechen, was Qualitätskriterien für Journalismus [2] sind oder was „Neutralität“ bedeuten könnte. Ziel unserer Arbeit sollte sein, junge Menschen dazu zu befähigen, die Meinung von Journalist*innen ebenso wie Positionen von Medienhäusern reflektieren zu können. Das bedeutet auch den Unterschied zwischen Pressefreiheit und wer sich darauf berufen darf und Meinungsfreiheit zu thematisieren. Onkel Herbert darf auf WhatsApp zwar seine Meinung äußern, aber Journalismus ist das deshalb nicht. Mit Onkel Herbert können wir diskutieren, widersprechen oder zustimmen. Irgendein Onkel muss seine Meinung nicht so gut belegen und im Vorfeld recherchieren wie Reporter*innen. Journalist*innen dagegen sollten dies tun, schließlich hören ihnen viel mehr Menschen zu und deshalb genießen sie auch Pressefreiheit. Andere Medien, wie Russia Today berufen sich zwar auf die Pressefreiheit, betreiben aber Propaganda für einen kriegstreibenden Staat [3]. Es gibt eine Fülle von Material, um sich mit jungen Menschen rund um das Thema Medienfreiheit, Medienproduktion, Journalismus, etc. auseinander zu setzen. „So geht Medien“ ist ein Projekt von vielen und auch ein Blick in die Materialsammlung lohnt sich. Ebenso lohnt sich ein Blick in die Debatte unter Medienschaffenden zum Thema. Vor dem Hintergrund steigender Bedeutung sozialer Medien als Informationsquelle beschäftigt sich Reporter ohne Grenzen beispielsweise mit Lösungsstrategien, in denen der berechtigte Wunsch nach einer Bekämpfung illegaler Inhalte im Internet mit einer gleichzeitigen Achtung der Meinungs- und Pressefreiheit Rechnung getragen werden soll. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf Fragen, welche Pflichten die betroffenen Unternehmen, wie meta, twitter oder tiktok haben müssen und wie die Umsetzung etwa von Löschpflichten unabhängig kontrolliert werden kann.
Globale Geschichten über Pressefreiheit
Nicht nur in Russland wird die Presse- und Meinungsfreiheit eingeschränkt, auch in vielen anderen Ländern wird Journalismus eingeschränkt, werden Reporter verfolgt oder verschwinden. Der Podcast von Reporter ohne Grenzen „Pressefreiheit grenzenlos“ spricht mit Journalist*innen in vielen verschiedenen Ländern über die Situation vor Ort. Reinhören löhnt sich, um zu hören, wie Violetta Savchits die Massenproteste gegen die umstrittene Wiederwahl von Machthaber Alexander Lukaschenko in Belarus begleitet hat und in ihrem Bildband bspw. dokumentiert, was mit der Frau im roten Kleid geschah, nachdem sie einen Soldaten umarmt hatte, um ein Zeichen gegen staatliche Gewalt zu setzen? Oder wie Sheriff Bojang Jnr. 2017 nach Gambia zurückkehrt. Er beschreibt: „Ein magischer Moment. Alles hat sich seitdem geändert. Das Gefühl von Sicherheit etwa“. Mittlerweile gilt Gambia in Subsahara-Afrika als ein echtes Erfolgsmodell auf dem Weg zu Demokratie und Pressefreiheit. Im Podcast spricht er darüber, dass sich Journalisten jedoch nach wie vor viele Hürden in den Weg stellen. Für die politische Bildung sind die Geschichten gute Beispiele, um ein diverses Bild auf globale Pressefreiheit zu werfen. Gerade bei globalen Themen geht es in der politischen Bildung schließlich immer auch darum, die Positionalität der erzählten Geschichten zu reflektieren. Denn auch Journalismus ist nicht frei von der Geschichte des Kolonialismus und neokolonialen Strukturen. In der Radioserie „Dekolonisiert euch“ von Deutschlandfunk Kultur geht es auch um die Dekolonisierung von Journalismus. In der Serie kann man z.B. hören, wie die Berichterstattung über Afghanistan häufig aus der Brille des Orientalisten geschieht oder Wissenschaftsjournalismus mit der Dominanz englischsprachiger Wissenschaftsjournals ringt. Auch ein Blick auf das Projekt Global Voices lohnt sich und liefert vielversprechendes Material für die Thematisierung globaler Verhältnisse, nicht nur zum Thema Pressefreiheit.
Quellen:
1: Deutscher Presserat: Pressekodex. Url: https://www.presserat.de/pressekodex.html (abgerufen: 02.03.2022)
2: Stephan Russ-Mohl (2.5.2019): Von der Aufmerksamkeits-Ökonomie zur desinformierten Gesellschaft? Bundeszentrale für politische Bildung. Url: https://www.bpb.de/themen/medien-journalismus/digitale-desinformation/290484/von-der-aufmerksamkeits-oekonomie-zur-desinformierten-gesellschaft/ (abgerufen: 02.03.2022)
3: Deutschlandfunk (24.2.2022): Russlands Krieg gegen die Ukraine Auch ein Höhepunkt der Propaganda. Url: https://www.deutschlandfunk.de/rt-de-und-russlands-kriegs-propaganda-100.html (abgerufen: 02.03.2022)