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Politische Jugendbildung für die sozial-ökologische Transformation

// Johannes Kemnitz

Aktuelle Studien zeigen: Die Corona-Pandemie, die Klima- und geopolitische Energiekrise sowie der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine verstärken bei jungen Menschen das Gefühl von Verunsicherung. Die Sorge um die eigene Zukunft und das Gefühl, das eigene Leben nicht mehr kontrollieren zu können, wächst (Jugend in der Dauerkrise 2022/23; Jugendstudie Ba-Wü 2023). Krieg und Terror, soziale Ungleichheit und Armut sowie die Folgen des Klimawandels werden als die drängendsten Herausforderungen der Zukunft gesehen. Eine Mehrheit der Jugendlichen sieht die eigenen Interessen in der gegenwärtigen Politik zu wenig vertreten. Zentrale Themen für die Gestaltung einer klimagerechten Zukunft, wie ökologische Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit, werden aus Sicht vieler junger Menschen nur unzureichend berücksichtigt. Dies führt bei einem Teil der Jugendlichen zu einer stärkeren Politisierung bzw. politischem Protesthandeln. Angesichts der drohenden Klimakatastrophe fordern sie eine konsequent nachhaltige Politik aus Verantwortung gegenüber kommenden Generationen und stellen damit viele Bereiche des ökonomischen und gesellschaftlichen Lebens auf den Prüfstein. Andere fühlen sich zunehmend ohnmächtig oder wenden sich von demokratischen Beteiligungsformen ab.

Gesellschaftliche, ökonomische und politische Dimensionen der sozial-ökologischen Transformation in der Politischen Jugendbildung

Vor diesem Hintergrund kommt der Politischen Jugendbildung die zentrale Aufgabe zu, den Krisenerfahrungen, Problemwahrnehmungen und Zukunftsängsten junger Menschen vermehrt Raum zu geben und ihre unterschiedlichen Perspektiven auf die bestehenden Herausforderungen aufzugreifen. Die Träger Politischer Jugendbildung regen eine vertiefte kritische Auseinandersetzung mit der zentralen Frage einer ökologisch nachhaltigen und sozial gerechten Zukunftsgestaltung an. Außerschulische politische Jugendbildung will junge Menschen dabei unterstützen, die gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Dimensionen einer sozial-ökologischen Transformation zu reflektieren, über mögliche Handlungskonzepte zu diskutieren und eigene positive Ideen für die Zukunft zu entwickeln.

Das gesamte Wirtschafts-, Finanz- und Gesellschaftssystem so zu entwickeln, dass eine gerechtere Verteilung des globalen Wohlstands erreicht wird, ist eine enorme Herausforderung.

Eine vertiefte (macht-)kritische Auseinandersetzung mit den bestehenden Grundlagen und Strukturen des globalen Finanzkapitalismus bildet den Ausgangspunkt für die Ausgestaltung alternativer Wachstums- und Wirtschaftsmodelle. Dabei geht es darum mögliche ökonomische Transformationen von der globalen bis zur lokalen Ebene in den Blick zu nehmen und ihre gesellschaftlichen und sozialen Auswirkungen sichtbar zu machen. Durch die Klimakrise verschärfen sich bereits bestehende globale Ungleichheiten, aber auch zukünftige Transformationsprozesse werden mit sozialen Folgen verbunden sein, wenn bspw. bestimmte Wirtschaftszweige wegfallen oder Arbeitsbereiche stärker digitalisiert werden. Zentrale gesellschaftliche Zukunftsthemen sind der Abbau einer global ungleichen Ressourcenverteilung und der damit verbundenen sozialen Ungleichheiten. Zu diskutieren ist insbesondere die Frage, wie faire globale Regelsysteme und die Reduzierung von Machtgefällen erreicht werden können. Dabei gilt es auch die Privilegien des Globalen Nordens kritisch zu reflektieren. Frieden, existentielle Sicherheit sowie individuelle Freiheits- und Beteiligungsrechte sind zentrale Werte, die es angesichts unterschiedlicher geostrategischer Interessen und politischer Machtungleichgewichte zu bewahren bzw. zu verteidigen gilt.

Im Hinblick auf die Bedeutung der sozial-ökologischen Transformation für die Demokratie muss der Weiterentwicklung von inklusiven politischen Beteiligungsprozessen ein besonderer Stellenwert eingeräumt und ein Umgang mit Wissenschaftsfeindlichkeit, der globalen Zunahme autoritärer Regime und Desinformationskampagnen gefunden werden. Gleichzeitig brauchen demokratische Aushandlungsprozesse Zeit und führen oftmals zu Kompromissen – auch dort, wo es eigentlich schnelles und entschiedenes Handeln braucht. Die außerschulische Politische Jugendbildung hilft jungen Menschen dabei, eine reflektierte Haltung zu solchen dilemmatischen Problemstellungen zu entwickeln.

Politische Jugendbildung braucht und unterstützt Jugendliche als Akteur*innen der sozial-ökologischen Transformation

Die Bewältigung der Klimakrise kann gesellschaftlich nur gelingen, wenn Nachhaltigkeit zugleich ökologisch, sozial und ökonomisch gedacht und umgesetzt wird. Deshalb werden durch die Politische Bildung anstehende Veränderungen konkret benannt, Einflüsse, Zusammenhänge und Folgewirkungen aufgedeckt und jungen Menschen damit wichtige Grundlagen für Entscheidungen und Gestaltungsoptionen vermittelt. Klimaschutz und Fragen nach dem individuellen ökologischen und ökonomischen Umgang mit Ressourcen werden vor dem Hintergrund notwendiger und möglicher Transformationsprozesse in der Gesellschaft beleuchtet. Durch inklusive Veranstaltungen vor Ort können auch Teilnehmende angesprochen werden, die sich bisher wenig oder gar nicht mit der Klimakrise und den daraus resultierenden Entwicklungen auseinandergesetzt haben. Für transformatives Handeln braucht es eine breite Unterstützung. Durch die Angebote der außerschulischen Jugendbildung wird die politische Handlungsfähigkeit und Teilhabe junger Menschen gefördert. Ihre Zukunft können junge Menschen nur selbst aktiv gestalten. Grundlegend hierfür sind eine eigenständige politische Meinungs- und Urteilsbildung und die Fähigkeit bestehende Handlungsoptionen und ihre Grenzen zu reflektieren.

Politische Jugendbildung stärkt die Resilienz und Ambiguitätstoleranz junger Menschen, weil sie ihnen mit ihren Seminarangeboten geschützte Räume zur Verfügung stellt. Hier können sie sich mit ihren Ängsten und Unsicherheiten hinsichtlich ihrer Lebenssituation und auseinandersetzen und lernen mit Uneindeutigkeit und Komplexität umzugehen. Politische Jugendbildung bietet darüber hinaus Experimentierräume für das eigene Handeln und stärkt die Teilnehmenden in ihrer gesellschaftlichen Gestaltungs- und politischen Handlungsfähigkeit. Außerschulische Politische Jugendbildung muss dabei verstärkt auch die mögliche Verknüpfung zwischen Politischer Bildung und politischer Aktion in Bildungsangeboten reflektieren. Dazu bedarf es eines intensiven Dialogs mit unterschiedlichen Jugendbewegungen und Protestgruppen. Die Debatte um Möglichkeiten und Grenzen legitimen Protests und zivilen Ungehorsams in einer Demokratie bietet hierfür einen zentralen Ansatzpunkt.

Die Politische Jugendbildung muss selbstverständlich auch selbstkritisch reflektieren, wie nachhaltig sie z. B. mit den eigenen Bildungseinrichtungen aufgestellt ist.

Über die Vielfalt der Formate der außerschulischen Bildung, von eintägigen Workshops bis zu Seminarwochen in Akademien, von regionalen, nationalen über internationale Formate, kann das Thema der sozial-ökologischen Transformation in seiner Komplexität aufgegriffen und so für diverse Zielgruppen, Kinder und Jugendliche verschiedener Altersstufen und aller Schulformen, Ausbildungen, Freiwilligendienste und Arbeitsverhältnisse mit ihren individuellen Bedürfnissen zugänglich gemacht werden.

Zukunftsaufgabe sozial-ökologische Transformation – Ziele und neue Kooperationsstrukturen

Nachhaltigkeit muss als Leitprinzip in der Politischen Bildung durchgehend verankert und die Mittel für Qualifizierungsmaßnahmen und Reflexionsräume für Politische Bildner*innen sowie Multiplikator*innen müssen ausgebaut und nachhaltig gesichert werden. Die Implementierung von Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) und die nachhaltige Weiterentwicklung von Dachverbänden und ihren Mitgliedseinrichtungen sollten verstärkt unterstützt werden.

Im Hinblick auf das Themenfeld sozial-ökologische Transformation möchten wir konkret erreichen, dass

  • junge Menschen aktiv in alle sie betreffenden politische Entscheidungsprozesse eingebunden und ihre politischen Forderungen im Hinblick auf die notwendigen Transformationsprozesse ernst genommen werden;
  • soziale Fragestellungen, Rassismus, Klassismus, Gender-Diskriminierung sowie andere Diskriminierungsformen im Kontext von sozial-ökologischer Transformation immer mitberücksichtigt werden;
  • das Thema sozial-ökologische Transformation und die Möglichkeiten der Politischen Jugendbildung bei den verstärkten Bemühungen der Bundesregierung um ökonomische Bildung mitgedacht werden;
  • unsere Angebote der Politischen Jugendbildung verstärkt nach transformativen Bildungsgrundsätzen ausgerichtet und Methoden noch erfahrungsorientierter gedacht werden;
  • die Kooperationsstrukturen mit jugendpolitischen Aktionsgruppen ausgebaut werden;
  • die Zusammenarbeit der Träger Politischer Jugendbildung mit Schulen in der Umsetzung der Bildung für nachhaltige Entwicklung in der Schule gestärkt wird;
  • eine machtkritische Perspektive auf die Rahmenbedingungen internationaler Maßnahmen eingenommen wird und
  • in der Trägerlandschaft und mit den Förderstellen gemeinsam erarbeitet wird, wie die internationalen Begegnungsprojekte unter Nachhaltigkeitsaspekten weiterentwickelt werden können.

Stärkung der Strukturen zur kompetenten und nachhaltigen Begleitung sozial-ökologischer Transformationsprozesse

Außerschulische politische Jugendbildung zur sozial-ökologischen Transformation muss neue Wege gehen und sich weiterentwickeln. Politische Bildung, die junge Menschen auch mittel- und langfristig darin unterstützen kann, die sozial-ökologische Transformation jetzt und in Zukunft zu gestalten, braucht eine nachhaltig gesicherte Infrastrukturförderung, die es ermöglicht Transformationsprozesse auch über einen längeren Zeitraum zu begleiten. Die Ausbildung zukunftsorientierter Kompetenzen zur Gestaltung der sozial-ökologischen Transformation kommt in den Förderprogrammen zur Extremismusprävention zu kurz. Eine finanzielle Stärkung von Fördermöglichkeiten zum Thema wäre eine bewusste Investition in die Zukunft und würde die Weiterentwicklung transformativer Bildungsangebote für die Träger der politischen Jugendbildung ermöglichen.

 

 

Positionspapier der „Gemeinsamen Initiative der Träger Politischer Jugendbildung“ (GEMINI) im Bundesausschuss Politische Bildung (bap e.V.)

 

Die Gemeinsame Initiative der Träger Politischer Jugendbildung (GEMINI) ist eine Arbeitsgruppe im Bundesausschuss Politische Bildung (bap e.V.) und bildet ein starkes Netzwerk für die Politische Bildung mit über 1.750 Einrichtungen der außerschulischen Bildung.

Mitglieder der GEMINI:

Arbeitsgemeinschaft der Ost-West-Institute e. V.

Arbeitsgemeinschaft katholisch-sozialer Bildungswerke in der Bundesrepublik Deutschland e. V.

Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten e. V.

Bundesarbeitskreis Arbeit und Leben e. V.

Deutscher Bundesjugendring e. V.

Deutscher Volkshochschul-Verband e. V.

Evangelische Trägergruppe für gesellschaftspolitische Jugendbildung

Verband der Bildungszentren im ländlichen Raum e. V.

Kontakt

Hanna Lorenzen, Sprecherin der GEMINI, c/o Evangelische Trägergruppe für gesellschaftspolitische Jugendbildung, Auguststraße 80, 10117 Berlin, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!


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