Politische Bildung und Gemeinnützigkeit

// Herbert Schmid

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

über die Vorsitzende des Bundesausschusses politische Bildung (bap) erreichte uns ein Hilferuf von sowi-online an der Leibniz Universität in Hannover.

 

Wer sich mit Fragen von "Volksbildung" ihrer steuerrechtlichen Anerkennung als gemeinnützig und der aktuellen Debatte um den "Beutelsbacher Konsens" auseinandersetzen will und/oder muss, für die/den ist das sicher ein spannender Text.

 

Liebe politische Bildner*innen,

anbei senden wir Ihnen einen CfP (Call for Paper, H.S.) für das Portal www.sowi-online.de

In der derzeitigen rechtlichen Debatte um Gemeinnützigkeit von Vereinen, die politische Bildung als Satzungszweck haben, steht die Auslegung der Aufgaben und Handlungsspielräume der politischen Bildung im Mittelpunkt. Besondere Aufmerksamkeit hat dabei das Urteil des Bundesfinanzhofes (BFH) im Fall von Attac erhalten. Die Aberkennung der Gemeinnützigkeit wird bei Attac unter anderem mit Auslegung des Zweckes der Gemeinnützigkeit "Politischer Bildung" bzw. "Volksbildung" begründet. Das BFH fordert eine "geistige Offenheit" und beschränkt diesen Zweck der Gemeinnützigkeit auf bildungspolitische Fragestellungen.

Das BFH-Urteil wirft eine Vielzahl von Fragen auf: Muss politische Bildung neutral bleiben? Muss sich politische Bildung auf „bildungspolitische Fragestellungen“ begrenzen? Was bedeutet „geistige Offenheit“ in der politischen Bildung? Ist politische Bildung nur dann zulässig, wenn sie die Macht- und Herrschaftsverhältnisse stützt?

Was bedeutet das Urteil für die politische Bildung? Für die Trägerlandschaft in Deutschland?

Das Bundesfinanzministerium hat, so ein Bericht in die TAZ vom 4.3.2020, sich mit den Finanzministerien der Länder darauf geeinigt, dass es für alle gemeinnützigen Organisationen „aus Vertrauensschutzgründen“ bis Ende 2021 keine Aberkennung ihrer Gemeinnützigkeit auf Grundlage der BFH-Entscheidung geben solle. In Planung sei eine Überarbeitung des Gemeinnützigkeitsrechts. Die oben aufgeworfenen Fragen werden bei der Überarbeitung eine zentrale Rolle spielen.

Um diesen Prozess auch aus der Disziplin der Politischen Bildung zu begleiten und ein breites Meinungspektrum zu gewinnen, laden wir Sie herzlich ein sich bei diesem CfP zu beteiligen.


Weitere Informationen dazu finden Sie im CfP im Anhang sowie in den kommenden Tagen auf www.sowi-online.de

Mit besten Grüßen

Steve Kenner, Bettina Zurstrassen und Christian Welniak

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Steve Kenner (M.Ed./StaatsEx)
Wissenschaftlicher Mitarbeiter

Leibniz Universität Hannover
Tel. 0511/762-14559, Fax 0511/762-4199
Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Postanschrift: Callinstr. 20, 30167 Hannover

 

Text des CfP anstelle der pdf

 

Call for Paper

sowi-online e.V.aufwww.sowi-online.de

Die Debatte um Gemeinnützigkeit im Spiegel der politischen Bildung

Das Finanzamt Frankfurt hat 2014 der Organisation Attac den Status der Gemeinnützigkeit entzogen.

Begründet wurde diese Entscheidung vornehmlich mit dem Argument, dassAttacsich nicht auf die satzungsmäßigen Zwecke, darunter auch Bildungsarbeit ('Volksbildung') beschränkt hätte. Die Organisation würde sich in die Tagespolitik einmischen, z. B. mit Forderungen nach einer Finanztransaktionssteuer oder der Schließung von Steueroasen.

Gegen den Bescheid des Finanzamtes Frankfurt hat Attac vor dem Hessischen Finanzgericht geklagt. Im November 2016 entschied das Hessische Finanzgericht zu Gunsten von Attac, indem es ihre Gemeinnützigkeit bestätigte und wie folgt begründete:

Mit dem Demokratieprinzip korrespondiert der Zweck der Volksbildung. Unter Volksbildung fallen dabei insbesondere auch die politische Bildung und die weltanschauliche Bildung. [...] Die für eine Demokratie notwendige Ausgewogenheit der demokratischen Willensbildung setzt zwingend eine entsprechende Bildung und Kenntnisse von den bestehenden Zusammenhängen voraus. Politische Bildung muss dabei sachlich und möglichst umfassend informieren [...]. Dabei ist nicht nur die Darstellung des status quo erlaubt, sondern vielmehr ist es geboten, gesellschaftspolitische Themen aufzugreifen und auch Alternativen darzustellen. Hier taucht zwangsläufig wieder die politische Komponente auf. Auch besteht Bildung nicht nur in theoretischer Unterweisung, sondern kann auch durch denAufruf zu konkreten Handlungen ergänzt werden.(Hessisches Finanzgericht 2016: 50)

Das Urteil des Bundesfinanzhofs

Das Hessische Finanzgericht ließ keine Revision zu diesem Urteil zu. Das Finanzamt Frankfurt legte daraufhin, auf Weisung durch das Bundesfinanzministerium, eine Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesfinanzhof (BFH) ein. Im Februar 2019 sprach der BFH sein Urteil und verwies das Verfahren an das Hessische Finanzgericht zurück. Mit seiner Sicht der Dinge hat der BFH der Entscheidung des Finanzgerichts enge Grenzen gesetzt(BFH Leitsätze 2020).

Sowohl das Verständnis von politischer Bildung als auch die Auffassung, was eine demokratische Zivilgesellschaftist, sind beachtenswert.

Im BFH-Urteil wird ausgeführt:

Bei der Förderung der Volksbildung [...] hatsich die Einflussnahme auf die politische Willensbildung und Gestaltung der öffentlichen Meinung auf bildungspolitische Fragestellungen zu beschränken. Politische Bildung vollzieht sich in geistiger Offenheit. Sie ist nicht förderbar, wenn sie eingesetzt wird, um die politische Willensbildung und die öffentliche Meinung im Sinne eigener Auffassungen zu beeinflussen.(BFH Urteil vom 10.1.2019, V R 60/17).


Auf Grundlage der BFH-Entscheidung urteilte das Finanzgericht Hessen im zweiten Rechtsgang am 26.02.2020 neu und verneinte die Gemeinnützigkeit Attacs. In der mündlichen Urteilsbegründung verwies das Gericht auf denvom BFH festgelegten Maßstab (beck-aktuell 2020).

Das BFH-Urteil wirfteine Vielzahl von Fragen auf:
Muss politische Bildung neutral bleiben? Muss sich politische Bildung auf„bildungspolitische Fragestellungen“ begrenzen? Was bedeutet „geistige Offenheit“ in der politischen Bildung? Ist politische Bildung nur dann zulässig,wenn sie die Macht-und Herrschaftsverhältnisse stützt?Was bedeutet das Urteil für die politische Bildung? Für die Trägerlandschaft in Deutschland?

Das Bundesfinanzministerium hat, so ein Bericht in die TAZ vom 4.3.2020, sich mit den Finanzministerien der Länder darauf geeinigt, dass es für alle gemeinnützigen Organisationen „aus Vertrauensschutzgründen“ bis Ende 2021 keine Aberkennung ihrer Gemeinnützigkeit auf Grundlage der BFH-Entscheidung geben solle.In Planung sei eine Überarbeitung des Gemeinnützigkeitsrechts. Die oben aufgeworfenen Fragen werden bei der Überarbeitung eine zentrale Rolle spielen, vermutlich auch in der Verhandlung und Urteilsbildung des Bundesverfassungsgerichts. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wird für Vereine im Feld der politischen Bildung von weitreichender Bedeutung sein.

Wir möchten auf sowi-online e.V. Stellungnahmen zur Auslegung des Begriffs und der Zielsetzungen der politischen Bildungeinholen.Unsere Intention ist es, ein breites Meinungsspektrum zu gewinnen.

Wir laden Sie herzlich ein, bis zum 15. Juni 2020 eine Stellungnahme zu verfassen.Die Stellungnahmen sollen bis zu 12.000 Zeichen, inklusive Leerzeichen,umfassen.

Bitte senden Sie die Stellungnahmen als Word-Datei an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Die Stellungnahmen werden auf sowi-online e.V. (https://www.sowi-online.de/)in der Rubrik „Kontroverse“ veröffentlicht.

Organisatoren:
Steve Kenner, Christian Welniak, Bettina Zurstrassen

Quellen in der Reihenfolge der Verwendung:Hessisches Finanzgerichtvom 10.11.2016:
https://finanzgerichtsbarkeit.hessen.de/sites/finanzgerichtsbarkeit.hessen.de/files/content-downloads/16001791.pdf(zuletzt abgerufen am 15.4.2020)

BFH Leitsätze zum Verfahren vom 26.2.2020:
https://finanzgerichtsbarkeit.hessen.de/sites/finanzgerichtsbarkeit.hessen.de/files/content-downloads/attac_leitsatz_%281%29.pdf(zuletzt abgerufen am 15.4.2020)

BFH Urteil vom 10.1.2019, V R 60/17
https://juris.bundesfinanzhof.de/cgi-bin/rechtsprechung/druckvorschau.py?Gericht=bfh&Art=en&nr=39534(zuletzt abgerufen am 15.4.2020)

beck-aktuell(27.02.2020)
https://rsw.beck.de/aktuell/meldung/fg-hessen-verneint-gemeinnuetzigkeit-des-attac-traegerververeins-fuer-die-jahre-2010-bis-2012(zuletzt abgerufen am 15.4.2020)

Die TAZ: https://taz.de/Nach-Attac-Urteil-zu-Gemeinnuetzigkeit/!5669322/(zuletzt abgerufen am 15.4.2020)


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