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[Kommentar] „Nie wieder ist jetzt“

// Johannes Kemnitz

„Nie wieder ist jetzt“ – unter diesem Motto finden derzeit in vielen Städten Demonstrationen gegen den Rechtsruck in der Gesellschaft statt, was bedeutet das für die Politische Jugendbildung? - Ein Kommentar.

Auch wenn der Slogan in mir ein leichtes Unbehagen hinsichtlich einer Gleichsetzung der heutigen Situation mit dem Nationalsozialismus weckt, ist das Aufstehen und in Bewegung kommen eine Erleichterung. Gerade für mich, der Politische Bildung in Thüringen macht.

Seit der Veröffentlichung der Corrective-Recherche gehen Woche für Woche Tausende von Menschen auf die Straße, um die Demokratie zu verteidigen. Dieses starke Zeichen muss uns als Politische Bildner:innen hoffnungsvoll stimmen. Obwohl sowohl die Bildungsarbeit als auch einige Unermüdliche durchgängig für demokratische Werte gestritten haben, ist es eine Erleichterung zu sehen, dass aus der Lethargie nun endlich ein demokratischer und antifaschistischer Aufbruch erwachsen kann. In diesem Kontext spielt die Bildung eine entscheidende Rolle. Obwohl sie antidemokratische Strukturen nicht einfach "wegzaubern" kann, hat sie die Macht, junge Menschen zu demokratischem Denken und Handeln zu befähigen. Die Art und Weise, wie wir Bildung gestalten, steht daher in direktem Zusammenhang mit der Gesellschaft, in der wir leben möchten.

Die Rolle der Politischen Jugendbildung

Als politische Jugendbildner:innen sind wir in einer schwierigen Lage. Immer wieder betonen wir, dass wir nicht die „Feuerwehr“ sind. Aber meist werden wir erst dann angerufen, wenn in einem Jugendclub „die Hütte schon brennt“ und dann soll innerhalb eines Projekttags oder einer Projektwoche plötzlich alles wieder gut werden. Obwohl wir das kritisieren, lassen wir uns aber ganz häufig zu dieser „Demokratiefeuerwehr“ machen. Klar, wir wollen die Kolleg:innen natürlich auch unterstützen aber die nachhaltige Wirkung solcher Maßnahmen ist wirklich fragwürdig.

Wir sind nicht die Regierung!

Daran knüpft sich etwas an, was in meinen Augen spätestens seit der Corona-Pandemie zu einer Herausforderung der Politischen Bildung geworden ist: Wir erklären immer häufiger politisches Tagesgeschäft der jeweiligen Regierungen. Doch das ist nicht die (alleinige) Aufgabe der Politischen Bildung. Und es ist auch nicht die Aufgabe in unseren Seminaren diese Entscheidungen zu verteidigen. Politische Bildung ist, meiner Meinung nach, das Streiten mit demokratischen Regeln.

Wir sollten uns mit Fragen auseinandersetzen, wie: Was bedeutet Demokratie? Wie funktioniert sie? Welche Rolle spiele ich in der Demokratie? Welche nichtverhandelbaren Werte hat die Demokratie?

Und natürlich gehört auch eine geschichtliche Perspektive dazu. Angesichts der Salonfähigkeit extrem rechter Gedanken ist es auch wichtig, aus der Geschichte zu lernen und die Erinnerung an den Holocaust wachzuhalten.

Demokratie in der Bildung fördern – Ein Gebot, keine Verbotszone!

Insbesondere im schulischen Umfeld sind viele unsicher darüber, was bei Demonstrationen wie "Nie wieder ist jetzt!" oder anderen politischen Initiativen erlaubt ist und was nicht. Der oft zitierte "Beutelsbacher Konsens" (Zur Geschichte des Beutelsbacher Konsens) wird häufig als Aufruf zur Neutralität missverstanden. Tatsächlich betont er jedoch die Notwendigkeit, demokratische Ansichten in all ihrer Vielfalt vorzustellen und junge Menschen dabei zu unterstützen, ihre eigenen Meinungen zu bilden. Der Beutelsbacher Konsens (Teste dein Wissen zum Beutelsbacher Konsens in unserem Quiz) fordert keinesfalls, politische Themen zu meiden. Wenn es jedoch um die Verteidigung der Demokratie geht, sieht die Situation anders aus. Hier geht es um die Aufklärung über antidemokratische Positionen und den Widerstand dagegen. Das ist nicht nur erlaubt, sondern sogar dringend geboten.

Wie streiten wir richtig?

Alles schöne Gedanken zu dem Thema, doch wahrscheinlich stand jede:r Politische Bildner:in schon einmal vor einer Gruppe junger Menschen die wirklich herausfordernd war. Gerade wenn Teilnehmende antidemokratisch argumentieren, ist die demokratische Gestaltung des Bildungsprozesses selbst eine entscheidende Rolle. Hier einige wichtige Aspekte:

Komplexität erlernen: In einer komplexen Welt ist es wichtig, sich mit Vielschichtigkeit und Nuancen auseinanderzusetzen. Demokratische Bildung sollte daher authentische Lernsituationen schaffen, die die Fragen der Teilnehmenden aufgreifen.

Kein Raum für Hass: Demokratie erfordert Anerkennung und Respekt für Vielfalt und steht im Widerspruch zu Hass, Diskriminierung und Vorurteilen. Es ist wichtig, Vielfalt zu reflektieren, zu diskutieren und Lösungen für ein harmonisches Miteinander zu entwickeln, in dem sich alle wohl fühlen können. Das bedeutet auch entschieden einzugreifen, wenn es innerhalb der Diskussion zu menschenverachtenden Aussagen kommt.

Wir sind respektvoll: Unser Bildungsansatz sollte immer einen respektvollen Umgang mit den Teilnehmenden beinhalten. Wer bloßgestellt oder nicht ernst genommen wird, lernt nicht, die Würde jedes Menschen zu achten. Kritik, auch an antidemokratischen Äußerungen muss entschieden widersprochen werden, doch der Drahtseilakt ist es, dass nicht einfach nur mit „erwachsener Autorität“ durchzusetzen, sondern durch nachvollziehbare Argumente und Geduld.

Selbstwirksamkeit erfahren: Von der Demokratie zu hören oder sie zu leben sind zwei unterschiedliche Dinge. Wenn ich als junger Mensch erfahre, dass meine Meinung, meine Wünsche einen Unterschied machen und wenn ich etwas bewegen kann, dann wird Demokratie (er)lebbar. Und selbst wenn sich nicht alles umsetzen lässt: Gerade die Erfahrung gemeinsam mit anderen für eine Veränderung gekämpft zu haben, im besten Fall sogar Solidarität erfahren zu haben, ist Demokratie pur, auch wenn mal etwas nicht durchgesetzt wurde.

 

 

Es gibt so viel Hoffnung diese Demonstrationen zu sehen. Gerade in den ostdeutschen Bundesländern wo die gesellschaftliche Stimmung gerade einen Tiefpunkt erreicht hatte. Und trotzdem täuscht es nicht darüber hinweg, dass uns schwere Zeiten bevorstehen. Aber viele Menschen, Organisationen und Initiativen setzen sich bereits seit Langem für eine gelebte, werteorientierte Demokratie ein. Auch in vielen Jugendhäusern und immer mehr Schulen ist Demokratie nicht nur ein Leitbild, sondern gelebte Praxis. Die aktuelle Aufbruchsstimmung kann dazu beitragen, diesen Ansätzen mehr Durchschlagskraft zu verleihen. Lasst uns dafür streiten!


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