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Barrierearm: Niedrigschwelligkeit in der Politischen Bildung

// Alrun R. Vogt, Dirk Lange

Das Wort „Niedrigschwelligkeit“ (oder auch „Niederschwelligkeit“) ist zunächst eine Metapher, ein Sprachbild von einer niedrigen Schwelle, welches einen ersten Hinweis auf die Bedeutung des Begriffes gibt (vgl. Mayrhofer 2012: 10): Bei Niedrigschwelligkeit geht es um einen leichten Zugang ohne besondere Hindernisse oder Anforderungen. Über die metaphorische Bedeutung hinaus ist der Begriff „Niedrigschwelligkeit“ ein Konzept aus dem Feld der Sozialen Arbeit, welches weitaus komplexer ist, als die Metapher vielleicht vermuten lässt.

Gerade im Bereich der außerschulischen Politischen Jugendbildung, welche v.a. in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit starke Schnittstellen zur Sozialen Arbeit hat, taucht der Begriff meist als Adjektiv (niedrigschwellig oder niederschwellig) zur Charakterisierung von Bildungsangeboten vermehrt auf und wird dabei selten definiert. Insbesondere im Zusammenhang mit Diskussionen über inklusive Politische Bildung sowie über digitale Zugänge und Angebotsstrukturen hat der Begriff an Popularität gewonnen. Im Nachfolgenden wird zuerst erläutert, was Niedrigschwelligkeit im Kontext von Sozialer Arbeit bedeutet, um dann konkret auf die Politische Jugendbildung einzugehen. Abschließend wird auf Niedrigschwelligkeit in Bezug auf digitale Bildungsformate eingegangen.

Niedrigschwellige Soziale Arbeit

Seit den 1990er Jahren findet der Begriff „Niedrigschwelligkeit“ Einzug in der Sozialen Arbeit (vgl. Redemeyer 2011: 24). Es lassen sich eine Vielzahl an Angeboten in der Sozialen Arbeit finden, die den Begriff für sich in Anspruch nehmen ohne ihn meistens näher zu bestimmen (vgl. Mayrhofer 2012: 146). Auch wenn die theoretische Debatte um den Begriff und die Frage, welche Kriterien ein Angebot niedrigschwellig machen, fortläuft, lassen sich ein paar zentrale Elemente identifizieren.

Niedrigschwellige soziale Arbeit bezieht sich auf spezifische Zielgruppen. Es geht um Schwellen, die sich aus der Lebenswelt der jeweiligen Zielgruppe heraus ergeben und diese Gruppe an der Teilhabe an sozialen Angebotsstrukturen hindern (vgl. Redemeyer 2011: 25-26). Tendenziell lassen sich folgende Arten von Schwellen identifizieren (vgl. Konter 2019), die im Nachfolgenden mit Hilfe einiger Fragestellungen veranschaulicht werden:

  • Ort und Räume (Wo? Wie ist der Ort erreichbar? Ist das Gebäude barrierefrei? Wie ist der Raum gestaltet?)
  • Zeit (An welchem Tag? Zu welcher Uhrzeit? Wie lange? Ist das Angebot zeitlich flexibel?)
  • Administration (Ist eine Anmeldung erforderlich? Wie erfolgt die Anmeldung? Gibt es Formulare?)
  • Kosten (Ist das Angebot kostenpflichtig? Gibt es Anreisekosten? Werden bestimmte Arbeitsmittel oder anderes Material benötigt?)
  • Kompetenzen (Gibt es explizite Teilnahmevoraussetzungen? Gibt es implizite Voraussetzungen, was eine teilnehmende Person können sollte? Bspw. sprachliche Fähigkeiten)
  • Lebenslage (Wie sieht die aktuelle Lebenswelt der Teilnehmenden aus? Ergeben sich daraus Bedingungen, die eine Teilnahme begünstigen oder erschweren? Bspw. Schulpflicht, familiäres Umfeld)
  • Psychologische Voraussetzung (Mit welchen Erwartungen oder Befürchtungen begegnen Personen einem Angebot? Bspw. Motivation, Ängste, Überforderung)
  • Struktureller und rechtlicher Rahmen (Welche Rahmenbedingungen können eine Teilnahme erschweren oder verhindern? Bspw. Aufenthaltsstatus)

Hinter dem Anspruch niedrigschwellige soziale Angebote zu schaffen, steht im Kern der normative Anspruch, dass alle Menschen die Chance haben sollten, an der Gesellschaft insgesamt teilzuhaben. Gleichzeitig impliziert der Begriff „Niedrigschwelligkeit“, dass dieser normative Anspruch ein Idealbild ist und praktisch immer gewisse „Schwellen“, also Teilhabehindernisse vorhanden sind (vgl. Lindner 2008). Damit ist ein Verweis auf Niedrigschwelligkeit immer auch ein Verweis auf gesellschaftliche Inklusions- und Exklusionsdynamiken und die Frage, unter welchen Voraussetzungen Teilhabe ermöglicht werden kann. Dieser radikaldemokratische Anspruch findet sich auch in der Politischen (Jugend-)Bildung.

Niedrigschwelligkeit in der Politischen Jugendbildung

Debatten über inklusive Politische Bildung und über Angebote der Politischen Bildung, die insbesondere bildungsbenachteiligte Jugendliche erreichen sollen, bestärken die Frage, wie im Bereich der Politischen Jugendbildung niedrigschwellige Angebote gestaltet werden können. Ein weites Verständnis inklusiver Politischer Bildung hat den normativen Anspruch für alle Lernenden, aber insbesondere für vulnerable Gruppen Politische Bildung zugänglich zu machen (vgl. Lindmeier 2020: 153).

Für die Politische Bildung lassen sich in Bezug auf kompetenzorientierte und psychologische Schwellen (s.o.) mögliche Hindernisse identifizieren, die spezifisch für Bildungsangebote in diesem Bereich gelten: Motivation, Vorwissen sowie sprachliche und Politikkompetenzen (vgl. Klamp-Gretschel 2022: 22). Gerade bei Angeboten der non-formalen Politischen Jugendbildung spielt Motivation eine besondere Rolle, da die Teilnahme freiwillig ist. Der Wunsch nach sozialen Kontakten ist unter Jugendlichen die häufigste Teilnahmemotivation, während die Begriffe „Politik“ und „Demokratie“ eine abschreckende Wirkung haben können (vgl. Becker 2010: 259-260). Wenn Unterschiede zwischen den sprachlichen Kompetenzen einer Lerngruppe und den vorhandenen Informationen zu politischen Themen und Prozessen, welche oft Fach- oder Bildungssprache erfordern, bestehen, dann kann Sprache zu einer Schwelle in der Politischen Bildung werden (vgl. Gloe/Oeftering 2020: 122). Je nachdem welches Vorwissen und welche (Politik-)Kompetenzen notwendig sind, um an einem Angebot zur Politischen Jugendbildung teilzunehmen, ergeben sich daraus möglicherweise zusätzliche Schwellen.

Je weiter die intendierte Zielgruppe für ein Angebot gefasst ist, desto schwieriger kann es werden, alle Schwellen zu bedenken und damit allen Jugendlichen eine Teilnahme zu ermöglichen. Wenn die Zielgruppe junger Menschen enger gefasst wird, kann es einfacher sein, bestimmte Schwellen zu erkennen und Lösungswege zu finden. Falls eine Partizipation aus der Zielgruppe heraus bereits in der Planung von Bildungsangeboten möglich ist, kann dies die Gelegenheit geben, frühzeitig Annahmen über die Zielgruppe kritisch zu überprüfen und spezifische Hindernisse zu identifizieren.

Niedrigschwelligkeit und Digitale Bildung

Digitale Bildungsformate verfügen über eigene Inklusions- und Exklusionsdynamiken (vgl. Krämer 2021). Sie können insbesondere in Bezug auf Ort und Zeit niedrigschwellig sein. Beispielweise im Bereich der internationalen Begegnungen können mit geringerem finanziellen und administrativem Aufwand junge Menschen über digitale Formate miteinander in Kontakt treten (vgl. Krämer 2022). Digitale Technik kann Personen mit Behinderung die Teilnahme an Online- und Offline-Formaten ermöglichen (vgl. Krämer 2022). Gleichzeit verfügen digitale Angebote über eigene Schwellen v.a. mit Blick auf Kosten und Kompetenzen.

Zur erfolgreichen Teilnahme an digitaler Bildung ist sowohl die benötigte technische Ausstattung (Hardware und Software) als auch ein Raum mit stabilem Internetzugang erforderlich. Der aktuelle Digital-Index 2021/22 zeigt deutlich, dass insbesondere jüngere Altersgruppen fast vollständig Zugang zum Internet haben (vgl. Initiative D21 e.V. 2022: 16). Gleichzeitig hat das Haushalteinkommen einen starken Einfluss auf die Frage, welche und wie viele digitale Endgeräte vorhanden sind (vgl. Initiative D21 e.V. 2022: 22). Daher sollten sich die digitalen Formate „an der Technikausstattung und dem Technikwissen der Teilnehmenden orientieren“ (Krämer 2021: 32). Zusätzlich zu der digitalen Infrastruktur, können auch digitale Medienkompetenzen eine Schwelle sein. Laut dem Digital-Index wirkt sich der Bildungsgrad weiterhin stark auf das Maß an digitalen Kompetenzen aus (vgl. Initiative D21 e.V. 2022: 32). Mit höherem Bildungsgrad gehen höhere digitale Kompetenzen einher.

In Bezug auf psychologische Schwellen kann die Frage, ob die Kamera bei Online-Formate an- oder auszuschalten ist, für einige Personen ein zusätzliches Hindernis sein:  Beispielsweise durch unerwünschte Einblicke in private Räume, durch ein Bedürfnis anonym zu bleiben oder durch eine Reizüberflutung bei Videokonferenzen (vgl. Krämer 2021: 23-24). Fragen des Jugend- oder Datenschutzes sind in Hinblick auf den rechtlichen Rahmen von besonderer Relevanz bei der Planung von digitalen Formaten.

Gerade unter der sogenannten Generation Z (Jahrgänge 1996-2009) ist außerdem der Wunsch verbreitet, mehr Zeit offline zu verbringen (vgl. Initiative D21 e.V. 2022: 46). Inwiefern ein digitales Bildungsangebot tatsächlich die Schwellen zur Teilnahme an Politischer Jugendbildung reduziert, bleibt abhängig von der konkreten Zielgruppe, der Gestaltung des Bildungsformates und von der Frage, was das vorrangige Ziel der politisch bildenden Maßnahme ist. Auch bei digitaler Politischer Jugendbildung können Inklusions- und Exklusionsdynamiken hinsichtlich aller anfangs aufgelisteten Schwellen wirken. Dementsprechend bleibt eine Partizipation der jeweiligen Zielgruppe zur kritischen Überprüfung, ob ein bestimmtes digitales Format für diese Zielgruppe tatsächlich niedrigschwellig ist, ratsam.

Literatur:

Becker, Helle (2010): Forschung für die Praxis? Empirische Ergebnisse zu Teilnehmenden und Wirkungen politischer Jugendbildung. In: Zeitschrift Außerschulische Bildung, 3-2010, 256-263.

Gloe, Markus/Oeftering, Tonio (2020): Didaktik der politischen Bildung. Ein Überblick über Ziele und Grundlagen inklusiver politischer Bildung. In: Meyer, Dorothee et al. (Hrsg.): Grundlagen und Praxis inklusiver politischer Bildung. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, 87-132.

Initiative D21 e.V. (2022): D21-Digital-Index 2021/2022. Text verfügbar unter: https://initiatived21.de/app/uploads/2022/02/d21-digital-index-2021_2022.pdf (letzter Zugriff am 13.02.2023).

Konter, Astrid (2019): Niedrigschwelligkeit. In: socialnet Lexikon. Bonn: socialnet. Text verfügbar unter: https://www.socialnet.de/lexikon/4960 (letzter Zugriff am 08.02.2023).

Krämer, Anna Maria (2021): Politische Bildung online: all inclusive? Ein- und Ausschlüsse in digitalen Formaten der außerschulischen politischen Bildung – eine Studie aus machtkritischer und intersektionaler Perspektive. Berlin: Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten e.V.

Krämer, Anna Maria (2022): Politische Online-Bildung zwischen Digital Diversity und Digital Divide. In: Journal für politische Bildung 2/2022, 10-13.

Lindmeier, Christian (2020): Didaktik der inklusiven Jugend- und Erwachsenenbildung. In: Meyer, Dorothee et al. (Hrsg.): Grundlagen und Praxis inklusiver politischer Bildung. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, 150-168.

Lindner, Ronny (2008): Hauptsache Kopplung. Eine Definition Niederschwelliger Sozialarbeit. In: Neue Praxis, Jg. 38, H. 6, S. 578–588.

Mayrhofer, Hemma (2012): Niederschwelligkeit in der Sozialen Arbeit. Funktionen und Formen aus soziologischer Perspektive. Wiesbaden: Springer Vs.

Redemeyer, Angela (2011): Niedrigschwelligkeit. – Was bedeutet das wirklich? In: Sozialmagazin. Die Zeitschrift für Soziale Arbeit, Jg. 36, H. 5, 22-30.

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