[Themenwoche] Du hast die Wahl!

// Johannes Kemnitz

Alphabetisierung und politische Bildung - auf den ersten Blick haben die beiden Themen nicht viel miteinander zu tun. Aber die politische Grundbildung liegt genau in der Schnittstelle dieser wichtigen Themen. Ein entscheidender Baustein dieser Grundbildung ist es, die Kompetenz zur politischen Beteiligung zu vermitteln. Um Jugendliche unter 18 auf ihre Rolle in einer funktionierenden Demokratie vorzubereiten gibt es daher seit 1996 die U18-Wahl. - Ein Interview mit Julia Riedel von U18.org

Die U18-Wahl gehört zur politischen Jugendbildung in Deutschland. Sie ist jedoch nicht „nur“ ein Werkzeug politischer Bildung, sondern dokumentiert auch den politischen Willen der unter 18-Jährigen in Deutschland. Jedes Jahr begleitet das Organisationsteam, angesiedelt beim Bundesjugendring, mehrere Wahlen, zuletzt die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. (Hier geht es zu den Ergebnissen)2022 U18 rundCC0 // U18.org

 

U18-Wahl - ein Moment der politischen Bildung

Redaktion: Was ist die U18-Wahl?

U18.org: U18-Wahlen werden seit 1996 immer neun Tage vor einem offiziellen Wahltermin abgehalten – zur Bundestagswahl, zur Europawahl und zur Landtagswahl. Kinder und Jugendliche beschäftigen sich mit dem politischen Geschehen und treffen für sich eine Wahlentscheidung. Sie gehen am Wahltag in ein U18-Wahllokal und geben symbolisch ihre Stimme ab. Gewählt werden können alle Parteien, die auch zur offiziellen Wahl zugelassen sind. Die Ergebnisse der U18-Wahl werden im Anschluss veröffentlicht. Im Vordergrund der U18-Wahl steht aber nicht das Wahlergebnis, sondern das Moment der politischen Bildung.

U18 ist eine der größten Initiativen politischer Jugendbildung in Deutschland. Sie bietet Platz dafür, dass Kinder und Jugendliche sich selbstbestimmt und selbstbewusst politisch ausdrücken. Junge Menschen organisieren Diskussionen mit Politiker*innen, stellen Material übers Wählen und über Programme der Parteien zusammen. Sie machen – mit Unterstützung von Jugendleiter*innen – konkret politische Bildung. Mit dem Engagement für U18 und der Teilnahme an der Wahl zeigen sie ganz klar: Sie gestalten Demokratie mit und stärken sie dadurch.

Wahllokale dort, wo sich Jugendliche aufhalten

Redaktion: Wie läuft so eine Wahl ab?

U18.org: Im Vorfeld von U18-Wahlen gibt es verschiedene Aktionen der politischen Bildung. Die Methoden und Dimension der Aktivitäten hängen jeweils von den Möglichkeiten der Wahllokale, der Landeskoordinierungsstellen, der lokalen Fördermöglichkeiten und der Motivation der Kinder und Jugendlichen selbst ab. Faustregel ist:

viel kann, wenig muss.

Für den Wahltag melden Kinder und Jugendliche – mit der Unterstützung Erwachsener – Wahllokale an. Diese sollten offen und frei zugänglich sein; im Prinzip können sie überall eingerichtet werden, wo sich Kinder und Jugendliche aufhalten. Unter u18.org gibt es eine Karte, auf der die Wahllokale zu finden sind.

Ihre Stimme abgeben können dann alle Minderjährigen. Erfasst wird dabei in den meisten Fällen nur die Zweitstimme, also die Wahl einer Partei. Nach Schließung der Wahllokale werden alle Stimmen über eine Software übermittelt und spätestens am Montag nach einer Wahl werden die Ergebnisse veröffentlicht.

Redaktion: Wie repräsentativ sind die Ergebnisse?

U18.org: Das Ziel der U18-Wahlen ist, dass alle jungen Menschen daran teilnehmen können. Die Möglichkeit zur Teilnahme hängt aber davon ab, ob es genügend Wahllokale gibt. Die Ergebnisse können also nicht (überall) repräsentativ sein. Da, wo viele Menschen ihre Stimme abgeben, bilden die Ergebnisse durchaus ein Stimmungsbild ab. In NRW etwa haben bei der U18-Landtagswahl im Mai 2022 rund 45.000 junge Wähler*innen ihre Stimme abgegeben.

U18 kann in alle Richtungen funktionieren

Redaktion: Wie trägt die U18-Wahl zur politischen Grundbildung bei?

U18.org: Das Vorfeld der U18-Wahl ist ein wichtiges Moment politischer Bildung. Das beginnt bei Gesprächen: Kinder und Jugendliche tauschen sich untereinander aus, mit Bezugspersonen, Politiker*innen, Familie. Wir glauben, dass jeder Mensch in Deutschland Themen hat, die wichtig sind. Egal, wie jung oder alt man ist. Und deshalb sollte man sollte mitreden dürfen, wenn man das möchte. Denn eine Gesellschaft wird von allen mitgestaltet.

Die Initiative U18 bietet Kindern und Jugendlichen zu Wahlen eine Plattform an, die eigene politische Haltung freiwillig entdecken zu gehen und auszudrücken. Ob man dies für sich selbst macht, oder lokale Politiker*innen mit den Herzensthemen belagert und mit Fragen löchert, liegt bei den Teilnehmer*innen.

U18 kann in alle Richtungen funktionieren und einen Mehrwert auch für die Ü18er mitbringen. Denn Gespräche zwischen den Generationen, Begegnungen zwischen jungen Menschen und Politiker*innen und politische junge Menschen in Medien und Öffentlichkeit können insbesondere auf lokaler Ebene auf die Jugendthemen im jeweiligen Wahlkreis aufmerksam machen.

Redaktion: Was können wir in der politischen Jugendbildung aus den Wahlen/den Wahlergebnissen lernen?

U18.org: Die Rekordbeteiligungen an den U18-Wahlen, etwa in NRW und bei der letzten Bundestagswahl, zeigen, dass Kinder und Jugendliche ernst genommen werden wollen und mitentscheiden können. Sie wollen wählen! Der große Zuspruch spiegelt das Interesse an Politik wider und zeigt, dass sich Kinder und Jugendliche für die parlamentarische Demokratie ins Zeug legen.

Redaktion: Ab wann sollten Kinder/Jugendliche Ihrer Meinung nach wählen dürfen?

U18.org: Der Bundesjugendring und seine Mitgliedsorganisationen fordern, das aktive Wahlalter bei Kommunal- und Landtagswahlen sowie der Bundestagswahl und den Europawahlen mindestens auf 16 Jahre abzusenken. Ziel bleibt ein Wahlalter ab 14 Jahren für alle in Deutschland wohnhaften Menschen zu allen Wahlen im Land.

U18 ist zuallererst eine Initiative der politischen Bildung. Jungen Menschen die Themen Politik und Wahlen näher bringen, heißt aber auch gleichzeitig, dass die Öffentlichkeit dafür sensibilisiert wird, dass Kinder und Jugendliche eine Stimme haben. So bringt U18 die Diskussion um die Herabsetzung der Wahlaltersgrenze natürlich auf, im Projektgrundsatz findet sich aber keine Positionierung für (oder gegen) ein konkretes Alter. In unserem Projekt können wertvolle Erfahrungen unvoreingenommen gesammelt werden. Dies stellt durchaus einen Beitrag in der Diskussion um das Wahlalter dar, ohne dass wir proaktiv in der Diskussion beteiligt wären.

2022 U18 Demokratie1CC0 // U18.org

Redaktion: Wie reagiert die Politik auf die Wahlergebnisse?

U18.org: Die U18-Wahl wird wahrgenommen und von einigen Spitzenpolitiker*innen als relevant hervorgehoben. Die damalige Jugendministerin Christine Lambrecht sagte, U18 sei ihr sehr wichtig als Maßnahme der politischen Bildung und der erlebbaren Demokratie. Sie kenne U18 aus dem Wahlkreis und finde die Methode toll. Die Presse hat breit von den U18 Wahlen zur Bundestagswahl 2021 berichtet, was den jungen Menschen und ihren Themen Aufmerksamkeit beschert. Das wiederrum fördert den Dialog zwischen Entscheidungsträger*innen und jungen Menschen und das ist unser Ziel.

Redaktion:  Immer wieder wird eine Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre diskutiert. Sollte das passieren, würden Sie auch eine U16-Wahl durchführen?

U18.org: Ja, klar.

Redaktion: In Deutschland lebende Menschen ohne [deutschen?] Pass dürfen auch nur an ganz wenigen Wahlen teilnehmen (bspw. bei den Kommunalwahlen einiger Kommunen). Gibt es auch Überlegungen so ein Format wie die U18-Wahl auf diese Zielgruppe zu übertragen?

U18.org: An der U18-Wahl können alle ausnahmslos alle Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren teilnehmen. Wichtig ist nur, dass U18-Wähler*innen ihr Kreuzchen selbst machen. Und dass sie es geheim und freiwillig machen können.

Mit Artikel 2 der Kinderrechtskonvention haben alle Vertragsstaaten (also auch Deutschland) erklärt, alle im Land anwesenden Kinder und Jugendlichen gleich zu behandeln. Vollkommen egal sind deshalb Herkunft, Status, Religion, Geschlecht, Sprache, Hautfarbe – und der Pass.

Rekordbeteiligung - das Gegenteil von Demokratiemüdigkeit

Redaktion: Kritiker:innen der U18-Wahl bemängeln, dass die Wahl folgenlos ist und dass dadurch Demokratiemüdigkeit befördert wird. Wie schauen Sie auf dieses Argument?

U18.org: Wir verzeichnen eine Rekordbeteiligung! Bei der letzten Bundestagswahl haben knapp 220.000 in rund 1.500 Wahllokalen ihre Stimme abgegeben. Das ist das Gegenteil von Demokratiemüdigkeit.

 

Redaktion: Herzlichen Dank für Ihre Antworten. Viel Erfolg und eine hohe Beteiligung bei der nächsten Wahl.

Das Interview wurde per E-Mail geführt.

weitere Informationen: U18.org 


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